Foto: Florian Miedl

„Mit Deutschland von klein auf vertraut“

Die Arbeitsvermittlerin Jana Kutílková und die Chancen der beruflichen Karriere

Die Agentur für Arbeit Selb hilft mit dem Dienstleitungsangebot EURES europäischen Arbeitssuchenden dabei, ins Ausland zu gehen und einen Job zu finden. Sie unterstützen als gebürtige Tschechin, die fließend Deutsch spricht, speziell Tschechen, die in Deutschland arbeiten möchten. Wie hat sich die Tätigkeit seit Ihrem Eintritt entwickelt?

Die Agentur für Arbeit Bayreuth-Hof hat 2014 eine Teilzeitstelle für EURES ausgeschrieben, da das Interesse der tschechischen Bürger, in Deutschland zu arbeiten nach der Einführung der Freizügigkeit im Jahre 2011 ständig stieg. Wir helfen nicht nur bei der Vermittlung der Arbeit, sondern bei allem, was rechtlich und organisatorisch damit zu tun hat. Von großem Vorteil ist, dass wir Tschechisch und Deutsch sprechen. Wir arbeiten auch eng mit tschechischen Kollegen zusammen. Wenn jemand in einem Beratungsgespräch beim tschechischen Arbeitsamt äußert, dass er gerne in Deutschland arbeiten möchte, können die Kollegen ihn gleich an die Agentur für Arbeit in Selb verweisen. Wir führen wöchentlich eine Gruppenveranstaltung durch, bei Bedarf bieten wir auch einen Einzeltermin an.

Die Sprache stellt bei der Integration in den Arbeitsmarkt eine Barriere dar. Wie lässt sich dieses Hindernis am besten bewältigen?

Es gibt Menschen, die nur Grundkenntnisse in Deutsch haben. Da braucht es ein gewisses Durchhaltevermögen. Dann schaffen sie es. Mit unserer Beratung und gezielter Vorbereitung können sich die meisten Bewerber beim Vorstellungsgespräch gut präsentieren. Die Arbeitgeber haben ja meist ähnliche Fragen: Haben Sie einen Führerschein? Können Sie Schicht arbeiten? Erzählen Sie ein bisschen von sich … Wenn jemand gar kein Deutsch spricht, ist es aber auch nicht ausgeschlossen, ihn unterzubringen. Es hängt von seiner Qualifikation ab. Zu beachten sind zudem die unterschiedlichen arbeitsrechtlichen Bedingungen in beiden Ländern. Da haben auch Arbeitgeber in Deutschland Beratungsbedarf. 

In welchen Branchen und bei welchen Stellen gibt es besonderen Bedarf? 

Ich zeige bei dieser Frage auch Bewerbern gerne unser Internet-Portal www.jobboerse.arbeitsagentur.de. Hier kann sich jeder einen Überblick verschaffen. Es werden eigentlich quer durch alle Branchen Arbeitskräfte gesucht, natürlich oft in der Produktion und im Handwerk sowie im Hotel- und Gaststättenbereich, aber auch hochqualifizierte Mitarbeiter im Gesundheitswesen oder Ingenieure. Je höher das Anforderungsprofil, desto wichtiger werden die Sprachkenntnisse. Nicht selten sind Bewerber zwar sehr gut ausgebildet, müssen wegen fehlender Sprachkenntnisse aber eher Stellen annehmen, die einen niedrigeren Bildungsabschluss erfordern. Dies gilt zum Beispiel für medizinische Fachangestellte, die als Altenpfleger arbeiten. 

Sie wohnen mit Ihrer Familie in Cheb und pendeln täglich nach Selb. Ist das Modell „In Tschechien wohnen und im Fichtelgebirge arbeiten“ weit verbreitet? 

Das hängt bei meinem Mann und mir mit der beruflichen Konstellation zusammen. Wir haben zwar immer wieder mit dem Gedanken gespielt, mit unserer Tochter nach Selb zu ziehen. Da mein Mann aber als Anwalt arbeitet und sein Abschluss in Deutschland nicht anerkannt wird, muss er seine Tätigkeit in Tschechien ausüben. Einer von uns muss also immer pendeln. Allgemein pendeln Berufstätige sehr oft, wenn sie direkt an der Grenze zu Deutschland leben. Wegen der günstigeren Dienstleistungen und der niedrigeren Mietkosten in Tschechien zahlt sich das für sie finanziell aus.

Das Lohngefälle zwischen Bayern und Tschechien ist zwar nicht mehr so hoch wie nach der Grenzöffnung. Dennoch pendeln die Arbeitskräfte wegen des Lohngefälles fast ausschließlich Richtung Deutschland, oder?

Es gibt schon auch Deutsche, die in der Karlsbader Region wohnen und arbeiten. Da sprechen wir aber vor allem von deutschen Firmen, die in Tschechien eine Niederlassung haben. In der Industriezone hinter Eger befinden sich viele solcher Firmen. Die Führungskräfte kommen dann oft aus Deutschland, den Niederlanden oder einem anderen europäischen Land.

Im Jahr 2000 haben Sie am Schüleraustausch der EUREGO EGRENSIS teilgenommen und das Gymnasium Christian-Ernestinum, Bayreuth, besucht. Wie sehr hat sich Ihre Erfahrung auf Ihre Entscheidung ausgewirkt, in Deutschland zu arbeiten?

Sehr stark! Denn das Gastschuljahr war nicht nur meine erste, sondern auch eine sehr positive Erfahrung. Daher habe ich mich auch für verschiedene Stipendien beworben, die mir im Studium Aufenthalte in Bayreuth und Bamberg ermöglicht haben.

Die Menschen sind ein entscheidender Faktor für das Wohlbefinden. Austauschschüler der EUREGIO EGRENSIS halten den Kontakt zu Mitschülern, den Schulen und Gasteltern sehr oft mehrere Jahre aufrecht. War das bei Ihnen auch so?

Der Kontakt zu einer Mitschülerin und ihrer Familie, wo ich mehrere Wochenenden verbrachte, besteht immer noch. Mit Blick auf meine Familie kommt noch ein anderer Faktor hinzu: Meine Großeltern sind Sudetendeutsche, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Tschechien geblieben sind. Sie sprechen noch Egerländisch. Mein Vater hat neben der tschechischen auch eine deutsche Staatsbürgerschaft. Also war ich mit Deutschland von klein auf vertraut.

Haben Sie als Gastschülerin Vorurteile gegenüber Tschechen erlebt?

Negative Vorurteile habe ich persönlich nicht erlebt, etwas Komisches aber schon. Ich erinnere mich an eine Begegnung mit einer Gastfamilie in Bayreuth. Da hat mich der Vater gefragt, wie oft wir in Tschechien Fleisch essen können. Offenbar dachte er, wir könnten uns Fleisch nur einmal im Monat leisten, weil das Geld so knapp sei. In der Schule gab es keinerlei Vorurteile. Da waren wir alle jung und neugierig. 

Interview: Oliver van Essenberg

Austausch trägt Früchte –
Das Bayerisch-Tschechische Gastschuljahr 

Wie Jana Kutílková, Mitarbeiterin der Agentur für Arbeit in Selb, die in dem Interview auf dieser Doppelseite zu Wort kommt, können viele tschechische Gymnasiasten wertvolle Erfahrungen bei einem Gastschuljahr in Bayern sammeln. Ermöglicht wird dies durch das Bayerisch-Tschechische Gastschuljahr in der EUREGIO EGRENSIS. Das Projekt startete im Schuljahr 1996/1997 und zählt bisher auf tschechischer Seite über 600 Teilnehmer (Stand: Schuljahr 2017/2018). Zu ihnen gehören auch die beiden Schülerinnen im Bild oben: Adéla Fastová, im Gastschuljahr 2016/17 am Walter-Gropius-Gymnasium in Selb, und dahinter Michaela Krocová, im Gastschuljahr 2017/18 am WWG – Wirtschaftswissenschaftliches und naturwissenschaftlich-technologisches Gymnasium der Stadt Bayreuth, beide vom Gymnasium Rokycany. 

Die Euregio unterstützt die Teilnehmer finanziell mit einem Stipendium und die Schulen helfen bei der Suche nach einer Gastfamilie. So können die Gastschüler die deutsche Sprache und Kultur aus eigener Erfahrung kennenlernen und sich dabei interkulturelle Kompetenzen aneignen, die für das spätere Berufsleben ungemein nützlich sind. Eine Aufgabe bei der Weiterentwicklung des Gastschuljahres besteht in Zukunft darin, noch mehr deutsche Schüler für Aufenthalte in Tschechien zu motivieren, um das Verständnis für das Nachbarland zu verbessern. Auf deutscher Seite bieten Gymnasien Tschechischkurse auf freiwilliger Basis an.